Rückblick: Im letzten Blogbeitrag der Beitragsreihe „Umsetzung von cyber-physischen Matrixproduktionssystems“ wurden die Charakteristiken einer Matrixproduktion thematisiert. Der aktuelle Beitrag baut auf diesen Charakteristiken auf und erläutert Möglichkeiten zur reifegradbasierten Bewertung der eigenen Produktionsprozesse von anwendenden Unternehmen. Die konkreten Technologieausrüster werden in einem zukünftigen Beitrag betrachtet.
Entwicklung des Reifegradmodells zur Einordnung und Bewertung von Matrixproduktionssystemen
Grundaufbau des Reifegradmodells
Das in der Expertise entwickelte Reifegradmodell ermöglicht den Grad der Umsetzung einer Matrixproduktion im Unternehmen beurteilen zu können. Es dient zur Klassifizierung von Merkmalen und ordnet Prozesse und Technologien eines betrachteten Matrixproduktionssystems einem Reifegrad zu. Dadurch lässt sich der Umsetzungsstand bestimmen, der bisherige Entwicklungspfad nachvollziehen und darüber hinaus weitere potenzielle Entwicklungsstufen identifizieren. Um den aktuellen Reifegrad der Produktion möglichst vollständig zu erfassen und Abhängigkeiten zwischen einzelnen Prozessen und Technologien zu identifizieren, wurden insgesamt 13 Gestaltungsfelder für das Reifegradmodell definiert.
Die Einordnung der Gestaltungsfelder erfolgte in drei Kategorien: Schlüsselaspekte, Befähiger und Nebenbefähiger. Grund hierfür ist der ungleich hohe Grad an Relevanz eines Gestaltungsfeldes für ein Matrixproduktionssystem. Am wichtigsten sind hohe Ausbaustufen in den vier Schlüsselaspekten: Grundstruktur des Produktionssystems, Gestaltung Prozessmodul, Operative Produktionsplanung & -steuerung (PPS) sowie Steuerung Prozessmodul. Die farbliche Abstufung verdeutlicht die Abnahme der spezifischen Relevanz von Gestaltungsfeldern. Zudem wurden die Gestaltungsfelder den Dimensionen Struktur (durch Hardware wie bspw. Maschinen und Anlagen sowie deren Nutzung geprägt) und Steuerung (durch Software wie bspw. MES oder Flottenmanagementsystem sowie deren Nutzung geprägt) zugeordnet. In der Abbildung 1 ist die Kategorisierung der Gestaltungsfelder zusammengefasst dargestellt.
Abbildung 1: Kategorisierung der Gestaltungsfelder1
Definition der Reifegradstufen
Für alle Gestaltungsfelder wurden fünf Reifegradstufen definiert und mit Beispielen untersetzt. Das ermöglicht die Bewertung eines Gestaltungsfeldes in einem konkreten Produktionssystem mit einem bestimmten Reifegrad. Die verschiedenen Reifegradstufen der struktur- und steuerungsfokussierten Gestaltungsfelder sind in der Abbildung 2 zu sehen. Die Bezeichnungen der Stufen vermitteln dabei die Haupteigenschaft der jeweiligen Stufe (z. B. bedeutet der Begriff „starr“, dass das Produktionssystem sehr unflexibel in der Struktur also eher ähnlich einer Linie aufgebaut ist). Je höher die erreichte Stufe, desto höher ist der Reifegrad des untersuchten Produktionssystems in Hinblick auf ein Matrix-Produktionssystem.
Abbildung 2: Reifegradstufen1
Das Reifegradmodell bietet so eine einfache Möglichkeit zur Bewertung eines Produktionssystems hinsichtlich der Eigenschaften einer Matrixproduktion und zeigt zudem weitere Entwicklungsstufen auf. Eine detaillierte Beschreibung zu allen Gestaltungsfeldern und den jeweiligen Stufen können in der Expertise nachgelesen werden.
Bewertung und Auswertung
Die Auswertung aller Gestaltungsfelder und deren zugehörigen Reifegradstufen erfolgt über ein Spinnennetzdiagramm, dass einen schnellen und umfassenden Überblick über den Reifegrad des Unternehmens ermöglicht. Die beschriebenen farblichen Einteilungen in struktur- und steuerungsfokussierte Gestaltungsfelder und die Kategorisierung nach Schlüsselaspekten, Befähigern und Nebenbefähigern finden sich auch hier wieder. Die erreichten Reifegradstufen werden über die orangefarbene Linie gekennzeichnet. Zusammenfassend entsteht so eine anschauliche Darstellung des Reifegrades des Untersuchungsbereiches. Das Beispiel in Abbildung 3 repräsentiert eine vollumfängliche Umsetzung der Matrixproduktion, da Schlüsselaspekte und Befähiger sowohl strukturseitig wie auch steuerungsseitig hohe Reifegradstufen aufweisen.
Abbildung 3: Bewertung und Auswertung1
Charakteristische Ausprägungsformen der Matrixproduktion
Aus dem aktuellen Forschungsstand und den durchgeführten Unternehmensbefragungen ließen sich je nach Kombination der Reifegrade in den struktur- und steuerungsfokussierten Gestaltungsfeldern verschiedene Matrix-Ausprägungen ableiten. Die Kombinationsmöglichkeiten ergeben die in Abbildung 4 dargestellten Felder des entwickelten Portfolios. Die Buchstaben von A bis O zeigen die in der Expertise eingeordneten Produktionssysteme der befragten Unternehmen. Es wird deutlich, dass die Ausprägungsstufen von Matrixproduktionssystemen sehr unterschiedlich sind.
Abbildung 4: Ausprägungsformen von Matrixproduktionen mit Einordnung der betrachteten Produktionssysteme1
Produktionssysteme mit niedrigen Reifegraden in Struktur und Steuerung finden sich im Feld Klassische Produktionssysteme wieder. Ganz links mit einem niedrigen Reifegrad in Struktur liegt zum Beispiel eine Linienfertigung. Eine Linienfertigung ist sehr starr, aber zum Teil schon automatisiert. Diese Systeme besitzen eine sehr hohe Produktivität, haben ihre Schwächen aber in der Flexibilität und Rekonfigurierbarkeit. Unten rechts in diesem Feld liegt eine klassische Werkstattfertigung, die einen geringen Reifegrad in der Automatisierung aufweist, aber durch die modulare Struktur einen höheren Reifegrad in der Struktur besitzt. Charakteristisch für diese Systeme ist eine sehr hohe Flexibilität, aber auch eine geringe Produktivität und Rekonfigurierbarkeit.
In dem Feld Software-definierte Matrixproduktion besteht bereits ein sehr hoher Automatisierungsgrad und ein flexibler Materialfluss. Allerdings sind die Prozessmodule fest und besitzen wenig Rekonfigurationspotenzial. Typische Vertreter solcher Systeme sind in der Halbleiterindustrie zu finden. Dieses Feld kennzeichnet eine hohe Produktivität und Flexibilität aber eine niedrige Rekonfigurierbarkeit aus.
Im Feld Hardware-definierte Matrixproduktion ist de Reifegrad der Steuerung eher geringer, d.h. die geringe Automatisierung ermöglicht wenig Flexibilität im Materialfluss. Jedoch ermöglicht die modulare Grundstruktur der Prozessmodule ein hohes Rekonfigurationspotenzial. Vertreter dieses Feldes besitzen eine mittlere Produktivität aber potenziell eine geringe Flexibilität.
Das Feld vollwertige Cyber-physische Matrixproduktion besitzt einen hohen Reifegrad in Struktur und Steuerung und vereint somit die Vorteile aus software- und hardwaredefinierten Matrixproduktion. Dies ermöglicht eine hohe Produktivität, Flexibilität und Rekonfigurierbarkeit.
Fazit
Zusammenfassend ermöglicht das Reifegradmodell eine ganzheitliche Einordnung und Bewertung eines Anlagenbereichs oder der kompletten Fertigung hinsichtlich der Ausprägung einer Matrixproduktion. Es ist einfach aufgebaut, wodurch es von den Unternehmen auch selbstständig eingesetzt werden kann. Trotzdem bieten wir als Fraunhofer die Möglichkeit eine gemeinsame Einordnung/Bewertung in das Reifegradmodell vorzunehmen und mit der ganzheitlichen Analyse zu diskutieren, welche potenziellen Transformationspfade in Zukunft notwendig sind. Kommen Sie dafür gern auf uns zu.
Haben Sie weiteres Interesse zu diesem Thema?
Die Expertise steht unter folgendem Link zum Download bereit. Dort finden Sie weitere spannende Einblicke rund um das Thema Umsetzung einer cyber-physischen Matrixproduktion. Bei weiteren Fragen können Sie sich gern an uns wenden.
Weitere Beiträge zur Expertise werden in naher Zukunft im Rahmen der Beitragsreihe „Cyber-physische Matrixproduktionssysteme in der Industrie“ auf dem Blog Zukunftsfabrik folgen.
Quelle der Abbildungen:
1Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0/acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Hrsg.): Umsetzung von cyber-physischen Matrixproduktionssystemen, 2022, DOI: 10.48669/fb40_2022-03
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