Vom 15. bis zum 17. Juni durfte ich unsere Abteilung bei der diesjährigen Auflage der CIRP Life Cycle Engineering Conference repräsentieren. Die 30. Auflage dieser Konferenz in New Brunswick (NJ) bot eine erstaunliche Mischung aus inspirierenden Vorträgen, innovativen Ideen und lebendigem wissenschaftlichem Austausch. Direkt vor Beginn der Konferenz stimmte mich ein kurzer Spaziergang über den College Avenue Campus perfekt auf die LCE 2023 ein. Zwischen den vielen historischen Gebäuden sammelten sich schon einige Absolventen, um ein perfektes Abschlussfoto zu machen (natürlich gekleidet mit Talaren und Doktorhut), für mich sollte es jedoch erst losgehen. An dieser Stelle möchte ich über einige spannende Beiträge aus den Bereichen Life Cycle Assessment (LCA) und Ecodesign berichten.
Kooperation in der Circular Economy als Baustein für eine nachhaltige Wirtschaft
Viele der Beiträge auf der LCE 2023 beschäftigten sich mit dem Thema Demontage, Remanufacturing und Reycycling. Daher war die erste Keynote von Dr. Nabil Nasr ein sehr guter Einstieg und Überblick zu diesem Thema. Gleich zu Beginn räumte er dabei mit einem Mythos auf, welchen auch ich zuvor glaubte und zwar, dass die globale Wirtschaft immer ressourceneffizienter wird. Tatsächlich hat sich die weltweite Materialproduktivität in den letzten 20 Jahren nicht verbessert. Obwohl es in den letzten Jahren viele neue Entwicklungen für mehr Effizienz gab, scheinen sich diese nicht unbedingt überall durchgesetzt zu haben. Dies ist ein Argument mehr, verstärkt auch an den Transfer von Forschungsergebnissen in Wirtschaft und Gesellschaft zu denken.
Eine weitere Keynote von Elizabeth Elroy hätte nicht besser passen können. Sie berichtete zum Thema Nachhaltigkeit in der Halbleiterbranche aus Sicht eines führenden Unternehmens aus diesem Bereich. Von meiner Kollegin Priya gibt es bereits einen Blogbeitrag über unsere Beteiligung am aktuellen Forschungsvorhaben NeurOSmart, bei dem wir zur Bewertung eines Sensorsystems auf Produktbilanzen zu Halbleiterprodukten angewiesen sind. Elizabeth Elroy hob in ihrem Vortrag die Bedeutung des Aufbaus von Partnerschaften und Ökosystemen hervor, da gerade im Hinblick auf Scope 3 Emissionen kein Unternehmen alleine ein wirkliches Net Zero Ziel erreichen kann.
Circular Economy, Industrie 4.0, LCA, Künstliche Intelligenz …
… waren nur einige der Überschriften aus den verschiedenen parallelen Sessions. Wie bei Konferenzen üblich, liefen mehrere Sessions zeitgleich, also konnte ich leider nicht alle vorher markierten Beiträge hören und musste zwischendurch zwischen den Hörsälen flitzen. Aus den vielen Vorträgen habe ich drei ausgewählt, die einen Querschnitt des Programms darstellen.
Starten wir mit einem exotischeren Paper von Pagone et al. von der Cranfield University. Sie verglichen den CO2-Fußabdruck von Bitcoin mit herkömmlichen Zahlungsmitteln (Kreditkarten und Bargeld). Betrachtet wurden dabei der weltweite Energiebedarf und die damit verbundenen Treibhausgasemissionen über ein Jahr. Das Problem des hohen Energiebedarfs von Bitcoin wurde bereits in verschiedenen Publikationen beleuchtet. Ursache ist das proof-of-work Verfahren, das viel Rechenleistung erfordert um ein kryptographisches Puzzle zu lösen, um so den nächsten Block auf der Blockchain zu erzeugen. Die Autoren kommen zum Schluss, dass Bitcoin geschätzt einen viermal größeren CO2-Fußabdruck hat, als alle traditionellen Währungen weltweit.
Während viele Unternehmen daran arbeiten die negativen Auswirkungen ihrer Produkte auf Mensch und Umwelt zu reduzieren, boten Simon Mörsdorf und Michael Vielhaber von der Universität des Saarlandes einen spannenden Ausblick auf eine ganz andere Kategorie von Produkten „net-positive sustainable products“. Sie erarbeiteten ein ganzheitliches Vorgehen zum Design von Produkten, die nicht nur keine negativen Auswirkungen haben, sondern z. B. durch eine Überkompensation mit Zertifikaten einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben.
Alex Bunodiere und Joost Duflou von der KU Leuven stellten ein Modell vor mit dem die Häufigkeit von Reparaturen an Unterhaltungselektronik erhöht werden soll. Sie identifizierten ein starres Preissystem für Reparaturen als einen Hinderungsgrund für Konsumenten ihr defektes Gerät reparieren zu lassen. Durch Personalisierungsoptionen lassen sich in ihrer Theorie geringere Preise für Kunden reduzieren. Dies verringert wiederum den Neukauf von Unterhaltungselektronik und reduziert somit die gesamten Umweltauswirkungen.
Der eigene Vortrag und Fazit
Ich selber durfte unser Paper mit dem langen Titel „Target Costing as an Approach to reduce Costs in closed-loop Agriculture Systems – Application for the Cultivation of Algae in Photobioreactors“ vorstellen. Allerdings hatte ich kein Glück mit der Technik. Die (in der Nacht) überarbeitete Version der Präsentation wollte sich einfach nicht auf dem Computer der Universität öffnen lassen. Zum Glück konnten wir dann aber eine ältere Version, die ich vorab geschickt hatte, nutzen. Bei meinem Vortrag ging es dann um die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von geschlossenen Algenbioreaktoren, die hochwertiges Proteinpulver für die Weiterverarbeitung in nachhaltigen Lebensmitteln produzieren. Hierzu berichteten wir auch schon im letzten Jahr in unserem Blog.
Neben den gehörten Vorträgen ergaben sich in den Pausen, beim Mittag und auch beim Conference Dinner viele Gelegenheiten interessante und inspirierende Personen zu treffen, deren Arbeit und Ideen sicherlich meinen zukünftigen Forschungsansatz beeinflussen werden. Insgesamt empfand ich die Teilnahme an der LCE 2023 als eine unglaublich bereichernde Erfahrung, die ich jedem empfehlen würde, der sich für das Thema Life Cycle Engineering interessiert.
Kommentare hinzufügen